Willenskraft – wir setzen sie oft ein, um Essgewohnheiten zu kontrollieren, besonders wenn wir mit emotionalem Essen kämpfen. Doch viele von uns wissen aus Erfahrung: Willenskraft hält nur für eine begrenzte Zeit. Irgendwann gibt sie nach, und wir finden uns in einem Kreislauf von Verlangen, Verzicht und Überessen wieder. Warum ist das so, und was können wir stattdessen tun?
Die Natur der Willenskraft
Willenskraft ist ein begrenztes Gut. Studien zeigen, dass sie ähnlich wie ein Muskel funktioniert – je mehr wir sie beanspruchen, desto schneller ermüdet sie. Eine bekannte Studie von Baumeister et al. (1998) demonstrierte, dass Menschen, die ihre Willenskraft in einer Aufgabe erschöpften, weniger Widerstandskraft bei nachfolgenden Aufgaben zeigten. Diese Erkenntnis ist entscheidend, wenn es darum geht, warum Willenskraft allein beim Essen oft nicht funktioniert.
Wenn wir versuchen, mit Willenskraft gegen unsere Essgewohnheiten anzukämpfen, treten wir in einen Kampf gegen unser eigenes Gehirn. Emotionales Essen wird oft von intensiven Gefühlen oder Gedanken ausgelöst. Das Gehirn sucht in diesen Momenten nach Belohnung – oft in Form von Essen, das schnelle Glücksgefühle hervorruft, dank des Dopamins, das beim Essen ausgeschüttet wird. Der Versuch, diese Verlangen zu unterdrücken, erfordert enorme Energie.
Der „Beachball-Effekt“
Ein hilfreiches Bild, um dieses Phänomen zu verstehen, ist der Vergleich mit einem Ball, den man im Wasser unter die Oberfläche drückt. Das Drücken des Balls unter Wasser steht für das Unterdrücken des Essverlangens durch Willenskraft. Man schafft es eine Weile, doch je mehr Kraft es erfordert, desto größer wird der Druck. Schließlich wird man müde oder durch eine äußere Störung abgelenkt, und der Ball schießt nach oben – das entspricht dem Moment, in dem man dem Verlangen nachgibt und isst. Oft endet das in einem Essanfall, der viel größer ist, als es das ursprüngliche Verlangen war.
Der Versuch, den Ball immer wieder unter Wasser zu drücken, verstärkt langfristig das Problem. Jedes Mal, wenn wir uns dem Verlangen hingeben, wird das Verlangen stärker. Es entsteht ein Kreislauf: Mehr Druck, mehr Anstrengung, mehr Überessen. Studien zeigen, dass dieses ständige Unterdrücken von Gefühlen und Verlangen langfristig schädlich ist und das Verhalten eher verstärkt als verringert (Wegner et al., 1994).

Willenskraft führt nicht zum Ziel
Das Gefühl, im Kampf gegen das eigene Essverhalten immer wieder zu „scheitern“, liegt also nicht an mangelnder Disziplin oder Schwäche. Es liegt daran, dass Willenskraft einfach nicht das richtige Werkzeug ist, um Verlangen zu bewältigen. Stattdessen braucht es einen anderen Ansatz.
Eine Möglichkeit besteht darin, das Verlangen bewusst zu erleben, anstatt es zu unterdrücken. Dieser Ansatz basiert auf Achtsamkeit und der Idee, dass Gefühle und Verlangen kommen und gehen – wenn wir ihnen Raum geben, verlieren sie an Intensität. In einer Studie von Kristeller und Wolever (2011) wurde gezeigt, dass Menschen, die achtsam mit ihrem Essverhalten umgehen, weniger Essanfälle erleben und ein besseres Verhältnis zu Essen entwickeln.
Was kannst du tun?
Anstatt das Verlangen durch Willenskraft zu unterdrücken, ist es hilfreich, sich Zeit zu nehmen und genau zu beobachten, was passiert, wenn ein Verlangen aufkommt. Wie fühlt sich das Verlangen an? Welche Gedanken und Emotionen sind damit verbunden? Diese Technik, die oft als „Urge Surfing“ bezeichnet wird, kann helfen, das Verlangen zu akzeptieren, ohne darauf zu reagieren.
Beispielsweise könntest du, wenn der Drang nach einem Snack aufkommt, innehalten und das Gefühl bewusst wahrnehmen. Vielleicht spürst du ein leichtes Ziehen im Magen oder bemerkst, dass du gerade gestresst oder gelangweilt bist. Indem du das Verlangen nicht sofort stillst, gibst du deinem Körper und deinem Geist die Chance, das Gefühl zu verarbeiten, anstatt es zu unterdrücken. Oft wird das Verlangen mit der Zeit schwächer, wenn du ihm Raum gibst.
Ein praktischer Tipp: Plane deine Mahlzeiten im Voraus. Wenn du 24 Stunden im Voraus entscheidest, was du isst, nimmst du die Emotionen und spontanen Verlangen aus der Gleichung. Du triffst diese Entscheidung mit klarem Kopf und nicht aus einem emotionalen Impuls heraus. Das hilft, das Gefühl der Kontrolle zu behalten, ohne auf Willenskraft angewiesen zu sein.
Fazit
Willenskraft ist ein begrenztes und oft ineffektives Mittel, um emotionales Essen zu bewältigen. Statt zu versuchen, Verlangen zu unterdrücken, ist es sinnvoller, diese bewusst zu erleben und ihnen Raum zu geben. Der Versuch, Gefühle und Verlangen zu unterdrücken, führt oft nur zu mehr Druck und letztendlich zu Essanfällen. Indem wir das Verlangen beobachten, ohne darauf zu reagieren, und unsere Mahlzeiten im Voraus planen, können wir den Kreislauf durchbrechen und ein gesünderes Verhältnis zu Essen entwickeln.
Bis bald,
Christina